Auch im Bereich des Patentrechts gibt es Herausforderungen, vor denen viele Unternehmen schon heute stehen. Dass der Gesetzgeber Handlungsbedarf sehen wird, erscheint zweifelhaft, so dass es gilt, sich auf Basis des geltenden Patentrechts auf die Anforderungen von Industrie 4.0 einzustellen. Dies betrifft vor allem folgende Bereiche:
- Innovationen im Softwarebereich,
- das Zusammenwirken mehrerer Akteure,
- die Verwendung von standardisierten Kommunikationstechnologien,
- neue Geschäftsmodelle.
Innovationen im Softwarebereich
Innovationen sind schon heute vielfach softwarebasiert bzw. liegen im Bereich der softwaretechnischen Komponenten. Die Innovation kann dabei in der Software selbst liegen, durch eine Software umgesetzt werden oder Berührungspunkte mit softwaretechnischen Komponenten aufweisen.
Diesbezüglich ist zu fragen, ob eine Erfindung mit softwaretechnischem Bezug überhaupt dem Patentschutz zugänglich ist. Das deutsche und europäische Patentrecht sieht nahezu wortgleich vor, dass Programme für Datenverarbeitungsanlagen als solche von der Patentfähigkeit ausgenommen sind (§ 1 (3) Nr. 3, (4) PatG bzw. Art. 52 (2) lit. c, (3) EPÜ). Dies bedeutet allerdings nicht, dass ein mittels Software gelöstes technisches Problem auch vom Patentschutz ausgeschlossen wäre. Wird ein technisches Problem auf eine nicht naheliegende Weise durch ein durch eine Datenverarbeitungsanlage durchgeführtes Verfahren und ein entsprechendes Computerprogrammprodukt gelöst, handelt es sich auch hierbei um ein technisches Mittel, das dem Patentschutz zugänglich ist (vgl. beispielsweise Schulte/Moufang, PatG, 9. Auflage, § 1, RN 118 ff mit zahlreichen Positiv- und Negativbeispielen). Dies ist etwa regelmäßig der Fall, wenn es um Software geht, die zum Regeln, Steuern oder Messen eingesetzt wird, bestimmte technische Gegebenheiten (wie die Hardware) berücksichtigt oder Sensordaten (etwa eines Smartphones) verwendet. Der Grat zwischen einer patentfähigen Erfindung auf der einen Seite und einem administrativen Verfahren oder einer abstrakten Idee, welche lediglich computergestützt durchgeführt wird, auf der anderen Seite ist jedoch regelmäßig äußerst schmal und einzelfallabhängig zu beurteilen. Erfahrungsgemäß lohnt es sich aber, nach patentfähigen Erfindungen zu suchen, wenn Innovationen mittels Software geschaffen werden. Denn der Patentschutz erweist sich gegenüber dem urheberrechtlichen Schutz von Computerprogrammen (vgl. §§ 69a ff. UrhG) typischerweise als ungemein wertvoller, weil sich (nur) über ihn auch die Funktionsweise von Computerprogrammen effektiv gegen Nachahmung schützen lässt.
Zusammenwirken mehrerer Akteure
Eine weitere Herausforderung stellt sich aufgrund der Tatsache, dass sich einzelne Schritte eines computerimplementierten Verfahrens besonders einfach von unterschiedlichen Vorrichtungen (Client, Server, Smartphone, etc.) durchführen lassen. Miteinander vernetzte, dezentrale Systeme und Kommunikationstechniken von NFC über Bluetooth bis LTE ermöglichen es, Daten zu erfassen und auch über große Entfernungen und insbesondere Ländergrenzen hinweg zu transportieren. Diese Vorrichtungen können dabei nicht nur an beliebigen Orten stehen, sondern auch von unterschiedlichen Unternehmen oder dem möglicherweise nicht kommerziell tätigen Endbenutzer betrieben werden.
Für die Formulierung der Patentansprüche bedeutet dies, dass ein Patentanspruch die einzelnen, durch unterschiedliche Vorrichtungen („Actor“) durchgeführten Schritte, möglichst isoliert erfassen sollte (sog. „Single Actor Claim“). „Multi Actor Claims“ können sich demgegenüber in der Rechtsdurchsetzung als nachteilig erweisen. Werden die Merkmale des Patentanspruchs nicht durch ein Unternehmen, sondern erst durch das Zusammenwirken von zwei oder mehreren Unternehmen verwirklicht, wird das Patent womöglich durch keines der Unternehmen verletzt (vgl. zur Problematik etwa OLG Düsseldorf, 10.12.2009, I-2 U 51/08, hier wurden aufgrund der Umstände des Einzelfalls allerdings im Ausland begangene Teilakte, die sich der Täter für einen im Inland eintretenden Verletzungserfolg zu Eigen machte, ihm zugerechnet und wie inländische behandelt).
Verwendung von standardisierten Kommunikationstechnologien
Patentrechtliche „Freedom-To-Operate“-Überlegungen stellen sich insbesondere bei der Verwendung von cyber-physischen Systemen, die über die Komponenten einer Dateninfrastruktur miteinander kommunizieren. Endgeräte wie Maschinen, Automaten oder Container, auch von unterschiedlichen Unternehmen einer Wertschöpfungskette, sollen auf diese Weise Informationen autonom miteinander austauschen. Für eine reibungslose Kommunikation müssen die jeweiligen Schnittstellen miteinander kompatibel sein. Technologische Standards sind hier in den allermeisten Fällen das Mittel der Wahl. Sie definieren die Anforderungen an das jeweilige Produkt oder Verfahren (z.B. Standards wie UMTS oder LTE in der Mobilfunktechnologie) und werden häufig durch Standardisierungsorganisationen festgelegt, empfohlen oder vorangetrieben.
Die meisten Standards beruhen auf einer Vielzahl von Patenten, von denen ein Marktteilnehmer bei Verwendung des Standards zwangsläufig Gebrauch machen muss (sog. standardessentielle Patente bzw. SEPs). Wenn nicht gerade ein gemeinfreier Standard zur Verfügung steht, benötigt ein Unternehmen daher ausreichende Nutzungsrechte, wenn es Standardtechnologien einsetzen will. Hinzukommt, dass Ansprüche aus SEPs im Vergleich zu Nicht-SEPs mit einer deutlich höheren Wahrscheinlichkeit geltend gemacht werden (vgl. Studie für die Europäische Kommission Ref. Ares(2014)917720 - 25/03/2014, S. 125).
Ob ein Standard ohne die Verletzung von Schutzrechter Dritter verwendet werden kann, lässt sich aufgrund der großen Anzahl von Schutzrechten, wie sie etwa bei Kommunikationstechnologien existieren, nur schwer recherchieren (vgl. auch EuGH, 16.07.2015, C-170/13, Tz. 62). Hilfreiche Anhaltspunkte kann eine Prüfung der Protokolle und rechtlichen Rahmenbedingungen der zuständigen Standardisierungsorganisation liefern. Häufig waren die maßgeblichen Inhaber von SEPs am Standardisierungsverfahren beteiligt und haben sich als Teilnahmevoraussetzung zu einem bestimmten Umgang mit ihren SEPs, insbesondere zur Lizenzierung der SEPs, verpflichtet. Dies kann schon zu erhöhten Obliegenheiten für den SEP-Inhaber führen, wenn er Verbotsansprüche aus den SEPs durchsetzen möchte (vgl. EuGH, 16.07.2015, C-170/13).
Zur Risikominimierung kann auch der Erwerb standardisierter Technologien bei etablierten Marktanbietern beitragen. Bei diesen kann eher davon ausgegangen werden, dass ihr Geschäftsmodell durch den Erwerb hinreichender Nutzungsrechte abgesichert ist. Als primärer Anbieter der Standardtechnologien werden sie auch eher von den Patentverletzern angegangen werden als ihre zahlreichen Abnehmer (gerade auch mit dem Ziel, bei ihnen Lizenzeinnahmen zu generieren). Wenn doch (auch) dem Abnehmer eine Patentverletzung vorgeworfen wird, bestehen zumindest vertragliche Gewährleistungs- und Regressansprüche, die – abgesehen vom Insolvenzrisiko des Vertragspartners - allerdings ggf. früher verjähren als die Patentverletzungsansprüche des Patentinhabers.
Bei der Durchsetzung von SEPs droht demgegenüber nicht unbedingt ein Nutzungsverbot. Die Durchsetzung des Unterlassungsanspruchs aus einem SEP kann nämlich ein missbräuchliches Verhalten im Sinne von Art. 102 AEUV darstellen und daher – jedenfalls in Deutschland und Europa –kartellrechtlich unzulässig sein. Dem geltend gemachten Unterlassungsanspruch kann dann ggf. der sog. FRAND-Einwand entgegengehalten werden, d.h. dass der Patentinhaber ein Nutzungsrecht zu fairen, vernünftigen und diskriminierungsfreien Bedingungen gewähren muss. Im Hinblick auf die Voraussetzungen an einen wirksamen FRAND-Einwand hat der EuGH zwischenzeitlich präzisere Vorgaben gemacht (EuGH, 16.07.2015, C-170/13). Einzelheiten sind allerdings weiterhin streitig.
Neue Geschäftsmodelle
Für den patentrechtlichen Schutz neuer Geschäftsmodelle durch Industrie 4.0 gilt, dass er reinen Geschäftsmodellen nach dem deutschen Patentgesetz und Europäischen Patentübereinkommen verschlossen ist (§ 1 (3) Nr. 3 PatG bzw. Art. 52 (2) lit. c EPÜ).
Allerdings sollte geprüft werden, ob sich die konkrete technische Implementierung des Geschäftsmodells patentrechtlich absichern lässt, insbesondere wenn im Rahmen des neuen Geschäftsmodells neue technische Methoden verwendet werden.
Neuen Geschäftsmodellen durch Industrie 4.0 werden aber voraussichtlich auch Innovationen zu Grunde liegen, die sich nach dem aktuell geltenden Recht nicht effektiv durch Patente schützen lassen. Gerade Alleinstellungsmerkmale Big Data-basierter Modelle wird man daher vornehmlich durch eine tatsächliche und vertragliche Sicherung der Hoheit über die Daten und den unbefugten Zugriff auf die Daten schützen müssen.
Kernthesen:
- Innovationen im Softwarebereich im Rahmen der Industrie 4.0, sind nicht per se vom Patentschutz ausgeschlossen. Es existiert bereits eine bewährte Praxis der Gerichte, auf die für die Beurteilung der Patentfähigkeit zurückgegriffen werden kann.
- Beachtung sollte der Formulierung von Patentansprüchen geschenkt werden, wenn Merkmale eines Anspruchs durch unterschiedliche Akteure und/oder in verschiedenen Ländern verwirklicht werden.
- Der Einsatz von standardisierten Technologien kann die Nutzung einer Vielzahl von Patenten bedeuten. Eine Prüfung der Protokolle und rechtlichen Rahmenbedingungen der Standardisierungsorganisationen kann zur Risikominimierung beitragen. Wegen eines evtl. möglichen FRAND-Einwands droht nicht unbedingt ein Nutzungsverbot.
- Der Patentschutz neuer Geschäftsmodelle ist bei reinen Geschäftsmodellen ausgeschlossen, die technische Implementierung kann aber patentierbar sein.
Dieser Artikel erschien erstmalig im JUVE Handbuch Wirtschaftskanzleien 2017/2018.
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