Kino

Der Tonfilm

zwischen Krieg und Frieden

US-Filmkonzerne waren nicht immer die Vorreiter in der Filmbranche. Anfang des 19. Jahrhunderts stellte sich ihnen der europaweit agierende Filmkonzern Tobis mithilfe von Werner Cohausz, Kanzleigründer von Cohausz & Florack, entgegen.

Der Film ist heute wohl eines der bedeutendsten Medien überhaupt. Dabei spielen besonders die Erfindung des Tonfilms, die dazugehörigen Patente und die jeweils involvierten Parteien eine bedeutsame Rolle in der Entwicklung des Films, wie wir ihn heute kennen.

Schon seit Mitte der 1880er Jahre wurden die in den Theatern gezeigten Filme von Varieté-Orchestern begleitet. Von Beginn an wurde das Gesehene also zu Unterhaltungszwecken mit Ton und dabei vor allem mit Musik unterlegt. Es dauerte jedoch gut 30 Jahre seit der Erfindung des Films, bis eine Aufführung mit synchronem Bild und Ton gelang.
Ende der 1920er Jahre entwickelten die amerikanischen Unternehmen Warner Bros. und Western Electric das Nadeltonverfahren. Dieses ermöglichte es, den Filmprojektor mit einer Schallplatte zu verbinden, die wiederum durch eine Nadel abgetastet wurde. So konnten die Zuschauer das Bild sehen und erstmals auch den Ton dazu hören. Der erste mit diesem Verfahren von Warner Bros. produzierte Film war „The Jazz Singer“, der am 06. Oktober 1927 in New York uraufgeführt wurde. Das Publikum war begeistert, als es die berühmten Worte „Wait a minute, wait a minute, you ain´t heard nothing yet!“ des Varieté Stars Al Jolson hörte und damit zum ersten Mal jemanden auf der Leinwand sehen und gleichzeitig sprechen hören konnte. Das war der Durchbruch des Tonfilms.
Anfang der 1930er Jahre löste das Lichttonverfahren das Nadeltonverfahren ab. Hierdurch wurde der Tonfilm immer beliebter und verbreitete sich weltweit.

Das Lichtton-Verfahren wurde jedoch nicht erst in den 1930er Jahren entwickelt. Bereits 1918 erfanden die drei deutschen Tontechniker, Joseph Engl, Joseph Masolle und Hans Vogt ein Verfahren mit dem Namen Tri-Ergon, welches einen laufenden Filmstreifen mit einer einen Lichtstrahl abzutastenden Tonradspur verband, 1923 gaben sie die Patentrechte an ihrer Technologie an die von Schweizer gegründeten Tri-Ergon AG ab, bevor sich 1925 der deutsche Filmkonzern UFA zur Beteiligung entschloss. Am 20. Dezember 1925 wurde im Berliner Mozartsaal der erste Tonkurzfilm mit dem Titel „Das Mädchen mit den Schwefelhölzern“ gezeigt. Da jedoch während der Premiere der Ton versagte, zog sich die UFA aus dem Projekt des Tonfilms wieder zurück.
Erst mit dem Beitrag der Ton-Bild-Syndikat AG wurde das Lichtton-Verfahren erfolgreich.

Die Ton-Bild-Syndikat AG (Tobis) wurde am 30. August 1928 in Berlin unter dem Zusammenschluss der Tri-Ergon Musik AG, der H. J. Küchenmeister Kommanditgesellschaft, der Deutsche Tonfilm AG und der Messterton AG gegründet. Es vereinigten sich sowohl verschiedene europäische Tonfilm-Patentinhaber als auch die jeweiligen Finanziers. Ihr Ziel: eine Standardisierung der Tonfilmtechnik. Damit wollten sie auch der amerikanischen Tonfilmbranche Paroli bieten.

Auf dem Papier eine deutsche Gesellschaft, wurde die Tobis von Beginn an zu einem großen Teil von niederländischen und schweizerischen Investoren getragen.
Andre Struve und Dirk Out vertraten die der niederländischen Interessen. Struve hatte zusammen mit dem Erfinder Heinrich Küchenmeister den Küchenmeister-Konzern gegründet, welcher vor allem mit der Erfindung des Phonographens und der damit einhergehenden Verbesserung der Ton-Reproduktion erfolgreich wurde. Out, der Partner einer Bank in Amsterdam war, hatte unter anderem auch in das Unternehmens Struves investiert. Derweil arbeitete Küchenmeister an dem Patent Meisterton, eine Verbesserung der Tri-Ergon Technologie. Die Premiere der Meisterton-Technologie, die einen standardisierten 35mm-Film verwendete und somit an eine bestehende Tonbox angebaut werden konnte, fand im November 1927 statt und führte zu der Gründung der Küchenmeister´s Internationale Maatschappij voor Sprekende Films NV, die direkt an der Gründung der Tobis beteiligt war.
Neben der Sprekende Films NV mit 36 % der Anteile, war auch die Tri-Ergon mit 26 % an der Tobis beteiligt. Dabei ergänzten sich die Patente der beiden Anteilsinhaber. Nur durch gegenseitige Verwendung konnten die einzelnen Teile produziert und weiterentwickelt werden.

Das Tobis-System feierte am 16. Januar 1929 mit dem Film „Ich küsse Ihre Hand, Madame“ und einer von Richard Tauber gesungenen Liedeinlage Premiere. Daraufhin dauerte es zwei Monate bis der 40-minütige Film „Melodien der Welt“ von Walther Ruttmann erschien. Ende September des gleichen Jahres kam der erste abendfüllende deutsche Tonfilm „Das Land ohne Frauen“ von Carmine Gallones, der knapp zwei Stunden lang war, in die Kinos.

Allerdings waren in der Tobis weder Filmhandel noch Elektroindustrie vertreten. Dies änderte sich im März 1929, als die Tobis einen Exklusivvertrag mit den zwei deutschen elektrotechnischen Firmen, AEG und Siemens & Halske schloss, die unter dem Namen Klangfilm große Mengen an Tonfilm-Geräten für die europäische Filmindustrie herstellen konnten. Von diesem Zusammenschluss profitierten beide Seiten enorm. Die Tobis verfügte nun über die industriellen Kapazitäten und Klangfilm konnte mit den Patenten der Tobis seine Produkte verfeinern und neu entwickeln.

Während die Tobis sich zu einem marktführenden Unternehmen mit einer wachsenden Anzahl an Patenten entwickelte, wurden auch die amerikanischen Konkurrenten auf die deutsche Filmindustrie aufmerksam. Es kam zu einem auf Patentrechtsverletzungen beruhenden Rechtsstreit, in welchem Werner Cohausz, einer der Gründer der Kanzlei Cohausz & Florack, eine zentrale Rolle spielte. Als Leiter der Patentabteilung der Klangfilm GmbH besichtigte er 1929 in einem Züricher Kino einen Tonfilmapparat. Dabei stieß er auf Einzelheiten über die Tonfilmwiedergabeapparaturen der Western Electric und der Radio Corporation of America. Seine Erkenntnisse erlaubten es ihm, gezielte Verfahren gegen die Patentrechtsverstöße der Konkurrenten zu führen. Zusammen mit einer schweizerischen Anwältin gelang es ihm auch gegen die erstmalige Aufführung mit dem Apparat vorzugehen.

Doch nicht nur zwischen den deutschen und amerikanischen Unternehmen kam es zum Streit. Auch innerhalb der amerikanischen Filmbranche waren sich die einzelnen Unternehmen nicht einig. Warner Bros. Unterzeichnete am 10. April 1930 einen Vertrag mit Sprekende Films NV, mit dem vereinbart wurde, dass Warner Bros. 50 % der zukünftigen Gewinne der Sprekende Films NV und der Tobis im Gegenzug für eine Zahlung von 1,75 Mio. Dollar erhalten sollte. Daraufhin hatte Western Electric, das bisher jegliche Verhandlungen mit den europäischen und deutschen Konkurrenten in den Patentstreiten verweigert hatte, keine andere Möglichkeit mehr. Das Unternehmen musste Verhandlungen aufnehmen, um seine Position auf dem amerikanischen und dem internationalen Markt sichern zu können.

Diese Verhandlungen sind unter dem Namen des Pariser Tonfilmfriedens bekannt, der am 22. Juli 1930 beschlossen wurde. Darin einigten sich Vertreter der Tobis-Klangfilm-Gruppe und der US-Tonfilmindustrie, die Interessengebiete aufzuteilen. Demnach durften in den Absatzmärkten Deutschlands, Österreichs, der Schweiz, der Niederlande, Skandinaviens und der Balkanstaaten ausschließlich die Technologien der deutschen Unternehmen auf den Markt gebracht werden, während umgekehrt den US-Firmen der amerikanische Markt übertragen und für die restlichen Ländern ein freier Wettbewerb vereinbart wurde. Zusätzlich wurde ein Abkommen getroffen, so dass jeder die Patente des Anderen nutzen konnte und entschieden, dass Tonfilme, die mit dem eigenen Aufnahmeapparat hergestellt wurden, mittels des Tonsystems der Konkurrenz aufgeführt werden konnten und durften.

Durch die Freigabe der Patente stand der vollständigen Umstellung vom Stumm- zum Tonfilm nichts mehr im Weg. Der Anteil der Tonfilme auf dem deutschen Markt stieg kontinuierlich an. Während 1929 noch nur 5 % des Gesamtangebots Tonfilm waren, waren es 1931 schon 39 %.
Allerdings war diese Umstellung auch mit enormen Kosten verbunden. Zahlreiche Kinos konnten sich die Anschaffung der notwendigen Apparate nicht leisten. Die erzielten Gewinne der Filmbranche gingen um ca. 60 % zurück und nicht nur die Vorführungen der Filme, sondern auch die Produktion derselben konnten nur durch Zuschüsse der Tobis aufrechterhalten werden. Die Tobis entwickelte sich somit zunehmend zu einer Filmkreditanstalt. Jedoch konnte sie nicht die Finanzierung der kompletten Filmbranche übernehmen und so stellten bis Mitte 1933 viele Unternehmen der Filmbranche ihre Tätigkeit ein.
Zudem führte die aufkommende Antisemitismus-Bewegung unter Hitler dazu, dass mehrere Länder einen Boykott gegen die deutschen Filme verhängten und die Erlöse der Exporte der deutschen Spielfilme deutlich zurückgingen. Das einstige Monopolunternehmen Tobis mit seiner so bedeutsamen Stellung in der deutschen Filmbranche und mit seinem so wichtigen Beitrag zu der Entwicklung des Tonfilms wurde nun zu einem staatsmittelbaren Konzern umstrukturiert.

Der Tonfilm jedoch blieb und setzte sich durch. Und vor allem der Pariser Tonfilmfrieden zeigt bis heute, wie wichtig Patente für die Erfindung und Weiterentwicklung von Innovationen sind.

 

(Header: David Mark - Pixabay; Detail: DIF, The Jazz Singer 1927 Poster auf Wikimedia als gemeinfrei gekennzeichnet)

The Jazz Singer
Das Poster für "The Jazz Singer", den ersten längeren Tonfilm
Der erste TRI-Ergon-Tonfilmprojektor 1922
Der erste TRI-Ergon-Tonfilmprojektor 1922
Das Tri-Egon Team
Das TRI-Ergon-Team: Joseph Engl, Joseph Massolle, Hans Vogt (v.l.n.r.)
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