Eine Blinddarmoperation ohne Betäubung? Schon der Gedanke daran schmerzt. Bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts jedoch war das die Regel: Betäubende Substanzen kannte man in der Medizin nicht. Damit Patienten unter dem Skalpell nicht an Herzversagen starben, kam es meist darauf an, wie schnell der jeweilige Arzt bei der Operation zu Werke ging.
Der 1803 in Darmstadt geborene Chemiker Justus von Liebig sorgte da für die sprichwörtliche Erlösung: 1831 stellte er in einem seiner zahlreichen Experimente einen chlorierten Wasserstoff her, der als Chloroform bekannt wurde. Dessen narkotisierende Wirkung wurde jedoch erst zehn Jahre später im Tierversuch erkannt. 1847 testete der schottische Arzt James Simpson das Chloroform an sich selbst: Mithilfe der Substanz fiel er in tiefe Bewusstlosigkeit und erwachte kurze Zeit später wieder. Ein Jahr zuvor war bereits Äther in der ärztlichen Praxis eingesetzt worden. Chloroform erwies sich jedoch zunächst als verträglicher.
Königliche Entbindung ohne Schmerzen
Justus von Liebigs Entdeckung stieß allerdings auf Widerstände. Vor allem Kirchenvertreter empörten sich über den Einsatz von Chloroform bei der Entbindung. Sie hielten es lieber mit dem Alten Testament, in dem es heißt: „Unter Schmerzen sollst du Kinder gebären“. Königin Victoria von England sah das anders: Sie wünschte sich eine schmerzfreie Geburt. 1857 brachte sie unter dem Einfluss von Chloroform ihren Sohn Prinz Leopold zur Welt. Öffentlichkeit und Fachwelt waren beeindruckt, und so wurde die Substanz in Europa zu dem am meisten verbreiteten Narkosemittel. Allerdings nur für kurze Zeit: Gegen Ende des 19. Jahrhunderts traten bei Operationen mit Chloroform als Anästhetikum immer wieder unerwünschte Nebenwirkungen auf, häufig mit Todesfolge. Schon bald setzte man daher in den Operationssälen wieder auf Äther und Lachgas.
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